Der Islam (B0050GCW8C) by Unbekannt
Autor:Unbekannt [Unbekannt]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Deutsche Verlags-Anstalt
veröffentlicht: 2011-05-16T04:00:00+00:00
Die frommen Ahnen
Muss der Koran buchstabengetreu befolgt werden – oder verlangt der Islam aufgeklärte Vernunft und zeitgemäße Reformen? Radikale Eiferer streiten seit Jahrhunderten mit Erneuerern um den wahren Glauben.
Von Rainer Traub
IBN TAIMIJA (1263 BIS 1328)
Der Mongolensturm, der über die islamische Welt im 7. Jahrhundert ihrer Zeitrechnung hereinbrach – nach christlicher Zählweise im 13. Jahrhundert – war mit nichts vergleichbar, was Korangläubigen seit den ersten Offenbarungen ihres Propheten widerfahren war. Die Reiterhorden des Dschingis Khan und seiner Nachfahren unterwarfen China, Mittelasien und Russland und drangen bis ans Mittelmeer vor. Mit unerhörter Grausamkeit verwüsteten die Eroberer im Jahr 1258 n. Chr. das stolze Bagdad, das unter der Abbassiden-Dynastie ein halbes Jahrtausend das Zentrum islamischer Kultur gewesen war – islamische Quellen sprechen von 800 000 Opfern.
Wie sollten sich Gläubige, die in der Ausbreitung ihrer Religion Gottes Werk und im universalen Triumph des Islam den Sinn der Geschichte sahen, diese Heimsuchung erklären, neben der die christlichen Kreuzzüge fast verblassten? Der syrische Jurist und Theologe Ibn Taimija, dessen Familie auf der Flucht vor den Mongolen wenigstens ihre Bücher nach Damaskus hatte retten können, fand darauf seine eigene Antwort: Gott hatte die Muslime gestraft, weil sie nicht mehr den wahren Islam praktizierten.
Sie konnten sich und ihre Welt nur retten, wenn sie erstens zur ursprünglichen Lebensweise Mohammeds und seiner Gefährten zurückkehrten – und zweitens mit dem Schwert in den Heiligen Krieg gegen Ungläubige zogen. Zu denen rechnete der kriegerische Gelehrte, der an die 4000 Pamphlete und 500 Bücher verfasst haben soll, nicht nur Mongolen und Christen. Auch jene Muslime, die den Koran anders als buchstäblich verstanden und den Islam wie auch immer an die Gegenwart anpassen wollten, waren für ihn Gottesfeinde – also nur mit Feuer und Schwert zu bekämpfen.
Mit der Unerbittlichkeit des frommen Eiferers fand Ibn Taimija zwar bei seinen Zeitgenossen wenig Anklang, und die Obrigkeit warf den Unbeugsamen, der das Heil im Mythos suchte, sogar ins Gefängnis. Und doch legte Ibn Taimija, wie der Islamhistoriker Tamim Ansary schreibt (»Die unbekannte Mitte der Welt«), eine geistige Saat. Unter der Oberfläche des Islam, so Ansary, habe sie bereitgelegen, bis »sich die richtigen Umstände einstellten, um aufzugehen«.
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